Der Weg in die Freiarbeit
Blog von —> Christian Stahn
Was ist eigentlich Freiarbeit?
Dafür gibt es keine feststehende Definition – für jeden bedeutet dies etwas anderes. Für die einen ist es sein Pferd ohne Hilfsmittel bewegen zu können. Für andere ist es sein Pferd zwar am Seil zu haben, aber dennoch nutzen sie Möglichkeiten ihren Pferden eine Meinungsfreiheit einzuräumen. Und für wiederum andere ist Freiarbeit alles über positive Verstärkung aufzubauen, also ohne Druck, wobei es für Druck verschiedenste Interpretationen gibt.
Was bedeutet Freiarbeit für mich?
Vor allem bedeutet es für mich, dass es nichts mit Arbeit am Pferd zu tun hat, sondern vor allem mit der Arbeit an mir selbst.
Achte ich genügend auf mein Pferd?
– auf sein Befinden, seine Emotionen, seine Ängste, seine Wünsche, seine Absichten, usw.
Erfülle ich genügend Bedürfnisse aus Sicht des Pferdes?
– wenn mein Pferd das Bedürfnis hat zu dösen, geduldig abwarten, auch mitten im Training – falls die Lieblingsfutterstelle von einem anderen Pferd besetzt ist, Platz für mein Pony schaffen – einen Umweg einlegen an einer Wasserstelle vorbei, um zu sehen ob mein Pony durstig ist – wenn mein Pferd sich für etwas interessiert, dann ermögliche ich ihn sich damit zu beschäftigen – während des Trainings Freizeitpausen geben, bei der mein Pferd alles tun kann was er möchte – wenn mein Pony gern Blätter nascht, dann ihm einen Zweig reichen, an den er nicht ran kommt – auch mal flexibel einen Vorschlag vom Pferd annehmen vielleicht etwas anderes im Training zu tun – Bedürfnisse können auch Mineralien oder Kraftfutter sein (je nach Alter, Auslastung, usw.) – wenn (m)ein Pferd rangniedrig ist, dann jenes vor anderen (ranghohen) Pferden abschirmen – ein Pferd beim Fellwechsel unterstützen und an Lieblingsstellen kraulen – einem Pferd Spaß und Freude bieten, beispielsweise übers Klickern aufgebaute Lieblingsübungen bis hin zu positiver Verstärkung in allen Lebensbereichen vom Pferd – Bewegungsdrang eines Pferdes erfüllen durch Haltungsoptimierung oder gemeinsamer Aktivität – innerlich ruhend Zeit beim Pferd verbringen ohne etwas zu wollen – nur Aufmerksamkeit schenken – und vieles mehr
Je mehr Bedürfnisse man vom Pferd erfüllt, desto mehr Pluspunkte sammelt man auf einem gedanklichen Punktekonto. Dabei zählt ein Pferd nicht mit, sondern es ist wohl mehr eine Art Bauchgefühl (im Bauch befindet sich das Herz), ein Gefühl, ob die gemeinsame Zeit mit einem bestimmten Menschen sich positiv anfühlt, weil es sich oft genug aus Pferdesicht gelohnt hat. Man kann es sich auch als Waagschale vorstellen, die nun sehr stark auf die positive Seite hin ragt. Und genauso wichtig wie es ist positive Gefühle für ein Pferd zu schaffen, so sollte man zugleich aber auch darauf achten, dass man möglichst wenig oder gar keine negativen Gefühle entstehen lässt. Denn damit würde die Waagschale Punkt für Punkt weniger stark auf die positive Seite ragen oder gar mehr auf die negative, mit dem Ergebnis, dass ein Pferd vielleicht nicht auf den Menschen zukommt, sich nicht Aufhalftern lässt oder gar vom Menschen weggeht oder wegrennt. Negative Gefühle schafft man zum Beispiel, indem man ein Pferd in eine Lage bringt, in der es Stress empfindet oder wenn man viel mehr nur eigene Interessen verfolgt und die der Pferde unberücksichtigt lässt.
Freiarbeit bedeutet für mich „freie Kommunikation“.
Das Pferd darf freie Entscheidungen treffen. Aber auch ich als Mensch darf freie Entscheidungen treffen. Aber wer von beiden entscheidet, wenn beide etwas völlig anderes wollen? Im Endeffekt entscheiden beide, jeder beeinflusst den anderen. Kommunikation ist für mich ein Dialog, in der beide Parteien gleichberechtigt behandelt werden. In einer Situation erfüllt man ein Bedürfnis vom Gegenüber und je mehr Vorschuss man gegeben hat, desto leichter wird es nun einen eigenen Wunsch zu äußern und diesen zu erfüllen. Manchmal trifft man sich vielleicht in der Mitte. Beispielsweise möchte man als Mensch im Galopp reiten, ein Pferd möchte aber lieber nichts tun. Ein Kompromiss könnte reiten im Schritt sein. Freiarbeit findet meiner Ansicht nach nicht nur am Boden statt.
Wie frei sind Pferde in unserer Umgebung?
Meist haben Pferde vielerlei Freiheiten verloren, die sie in der freien Wildbahn haben würden. Es gibt häufig weniger Raum, Pferdeherden werden beliebig zusammengewürfelt, die Futtervielfalt ist meist geringer, die Umgebung reizärmer, die Fortpflanzung wird vom Menschen kontrolliert, manchmal gibt es vorgeschriebene Fütterungszeiten, usw. Für mich heißt das, dass wir den Pferden umso mehr zurückgeben müssen um all das auszugleichen. Aber genauso geben wir den Pferden auch manches, was in der freien Wildbahn nicht vorhanden ist. Medizinische Versorgung, Hufpflege, Physiotherapie, Osteopathie, Zahnarzt, Heilpraktiker, gesicherte Grundversorgung im Winter statt Nahrungsknappheit, usw. Wenn auch nicht alle dieser Punkte positiv für ein Pferd empfunden werden, aber dafür gibt es beispielsweise “medical Training” um das positiver gestalten zu können. Physio- und Osteotherapie hingegen fand mein Pony immer sehr entspannend. Meine Anfänge in Frei“arbeit“
Ich fing an erste Erfahrungen mit zwei Pflegepferden zu sammeln, aber so richtig intensiv begann ich erst nachdem ich etwa zwei Wochen lang eine Vielzahl von Interviews anlässlich einer Pferdekonferenz lauschen konnte. Das Thema lautete „Meine Brücke zum Pferd“ und genau die baute ich mir schließlich mit meinem eigenen Pony. Ich verbrachte die ersten 3 Wochen damit nur Zeit für ihn zu verbringen.
Mal brachte ich ihm seine Heunetze, mal leistete ich ihm beim Dösen Gesellschaft, mal brachte ich ihm Äste und Zweige die im Sturm abbrachen, mal hielt ich ihm als eher rangniedriges Pferd einen Fressplatz frei vor den anderen Pferden, mal holte ich ihn aus dem grasarmen Paddock raus um ihm Zugang zu höherem Gras außerhalb zu ermöglichen, mal belohnte ich auch diverse Tricks mit Leckerli, wie beispielsweise das Apportieren von Pylonen oder das werfen damit (und mit der Zeit bis hin zu Belohnung in nahezu allen anderen Lebensbereichen), mal kümmerte ich mich darum, dass der 1m³ leere Vorratsspeicher mit Wasser gefüllt wurde als die Tränke kein Wasser mehr hatte, während mein Pony Wotan zuvor davor stand, mich darauf aufmerksam gemacht hatte und nun dabei zusah wie ich mich darum kümmerte. Als die ersten beiden Wochen vergangen waren, kannte ich ein paar Stellen von Wotan, die er gern aufsuchte, weil es sich dort häufiger für ihn gelohnt hat. Diese Stellen suchte ich nun gezielt auf, wenn Wotan in Sichtweite war. Seine Aufmerksamkeit hatte ich meist von ganz allein, da es sich für ihn in meiner Gegenwart meistens auch lohnte. So zum Beispiel ging ich zu ein paar Bäumen, deren Äste zu hoch und außerhalb der Reichweite von Wotan hingen, sprang hinauf um einen Ast zu erwischen und zog diesen auf erreichbare Höhe für Wotan. Als er das sah, kam er liebend gern um nun ein paar Blätter naschen zu können. An einem anderen Tag stand Wotan 10 Meter entfernt von einer Lieblingsstelle und graste gerade. Ich ging zu ihm, begrüße ihn kurz indem er an meiner Hand schnupperte, und legte danach meine Hand auf seinen Mähnenkamm und schaute in Richtung jener Lieblingsstelle. Mit einem Hauch an Gefühl gab ich ihn zu verstehen, dass wir doch mal dorthin gehen könnten, damit ich ihm eine kleine Freude bereiten kann. Und er hatte gute Gründe meinem Wunsch zu folgen, denn es hatte sich oft genug in der Vergangenheit für ihn gelohnt. Auf diese Weise fügte ich nach und nach neue Signale hinzu die Bestandteil unserer Kommunikation wurden. Teilweise bekamen die Signale dadurch einen positiven Kontext, teilweise wurde ich als Mensch zugleich positiv verstärkend empfunden – die Konsequenz seines Verhaltens erfolgte weil es sich für ihn persönlich lohnte statt etwas zu vermeiden. Und mit der Zeit begann ich ein paar mehr meiner Wünsche mit einfließen zu lassen, aber möglichst nicht mehr als ich von Wotan / von einem Pferd wünsche. Die Balance möchte ich gern gefühlsmäßig ein klein wenig mehr zu Gunsten vom Pferd gestalten. Die positive Verstärkung als systematische Methotik stellte einen weiteren Bestandteil für mich zur Freiarbeit dar – aufgebaute “Choice”-Signale ermöglichen Wotan eine freie Meinungsäußerung, welche ich respektiere und achte. Wenn er beispielsweise nicht mehr zur Aufstieghilfe kommt, dann möchte er nicht geritten werden – in dem Fall suche ich uns eine andere gemeinsame Aktivität. Weitere Wege zur Freiarbeit lerne ich noch kennen in naher Zukunft. Ich bin gespannt welche Aspekte ich davon für mich mitnehmen werde.